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Rede auf der Jubiläumsfeier "Zehn Jahre Liste Ladins / 10 agn de Lista Ladins", 29.9.2003, Corvara

Sehr geehrte Anwesende, sehr geehrter Vorsitzender, liebe ladinische Freunde,

ich verzichte auf das Radebrechen einiger ladinischer Grußworte, weil das nur geheuchelt wären. Ich stehe hier als ein Südtiroler, der einige – wenige Ladiner – persönlich gut kennt; in meiner Schulklasse befanden sich ein Gadertaler, eine Grödnerin und ein Grödner, aber es wurde immer Deutsch gesprochen unter uns. Meine Familie ist mit einer ladinischen Familie eng befreundet, die in Bozen lebt; der Vater – in meinem Alter –spricht mit seinem Sohn Ladinisch. Ich kenne Giovanni Mischi recht gut, selbstverständlich reden wir deutsch miteinander. Mateo Taibon ist ein Mitarbeiter der Zeitung, für die ich arbeite, und unsere Umgangssprache ist Deutsch.

Ladinisch ist für mich eine Radiosprache; daheim lief das Radio immer weiter, auch wenn die ladinischen Nachrichten kamen. Das Klangbild ist mir vertraut, manches verstehe ich, beim Lesen muss ich beispielsweise laut lesen, dann geht mir der Sinn mancher Sätze auf. Als Unterlandler gibt es zudem eine gewisse subtile Verbindung: Wie ihr werden wir gern die Krautwalschen geschimpft. Aber trotzdem bin ich ein sehr durchschnittlicher Repräsentant des deutschen und indirekt auch italienischen Südtirols: Die Ladiner sind die unbekannten Nachbarn. Exoten. Dass einst ganz Südtirol eure Sprache oder eine Sprache sprach, der eure Sprache näher ist als Deutsch und Italienisch, das ist in Vergessenheit geraten.

Die Verdrängung des Ladinischen im Lauf der Jahrhunderte hat die Ladiner im Verständnis vieler deutscher Südtiroler  zu  „minderen Brüdern“ gemacht. Der Kampf um die eigenen Rechte hat die Sensibilität der deutschen Südtiroler für schwächere Minderheiten interessanter Weise nicht verfeinert, sondern eher vergröbert: Die Südtiroler haben sich daran gewöhnt, unter Minderheit zunächst einmal Deutschtum zu verstehen. Mit der ladinischen Minderheit wurde oft wenig rücksichtsvoll verfahren, im sonst gut gestützten System des Südtiroler Minderheitenschutzes ist die kleinste ethnische Gruppe das Aschenputtel.

Schon unter Österreich, das den vielen Nationalitäten durchaus Entfaltungsräume ließ, wurde den Dolomitenladinern die Anerkennung als ethnische Gruppe verwehrt. Als Südtirol und Trentino 1919 zu Italien kamen, mussten sich die Ladiner dagegen wehren, dass ihre Sprache als italienischer Dialekt betrachtet wurde.

Eine eigene kulturellen Identität wurde den Ladinern auch in den Autonomieverhandlungen nach dem Zweiten Weltkrieg nicht zugestanden: Waren sie nun Italiener, die eine Lautverschiebung verpasst hatten, oder eigentlich Deutschtiroler, die unter sich einen welschen Dialekt reden? In ihren lautersten Absichten verstand die Südtiroler Volkspartei die Ladiner durchaus als Schicksalsgenossen. Der erste SVP-Obmann Erich Amonn hatte das Verhältnis zu den Ladinern so definiert: „Wir haben sie immer als eigene Volksgruppe respektiert und verteidigt … Darüber hinaus fühlen wir uns mit ihnen durch die jahrhundertelange gemeinsame Geschichte und Überlieferung, durch die tiefe Verwurzelung mit dem Lande derart aufs Engste verbunden, dass wir uns, wiewohl zwei Volksgruppen, als Einheit, als Südtiroler Volk betrachten.“ Ich lese da eine Zweifaltigkeit des einen Tiroler Volkes heraus. Aber: Je stärker die „Einheit als Volk“ betont wurde, desto deutlicher mussten die Ladiner auf deutscher Seite stehen, während ihnen ein politisches Eigeninteresse abgesprochen wurde.

Dieses Zerren um die ladinische Identität hält bis in die Gegenwart herauf an und spaltet die Ladiner selbst zwischen einem neuen ladinischen Selbstbewusstsein und den Zuordnungen zu den zwei großen Sprachblöcken. Alcide Degasperi, der erste Außenminister und Ministerpräsident Italiens nach der Entscheidung für die republikanische Staatsform, begründete 1945 seine Forderung nach Verbleib Südtirols bei Italien damit, dass es nördlich von Salurn und sogar nördlich von Klausen „vollständig ladinische, das heißt italienische Täler“ gibt. Etwa zur selben Zeit beteiligten sich viele Ladiner an den Unterschriftenaktionen für die Rückgabe Südtirols an Österreich.

Sie blieben zwischen den Stühlen sitzen. Der Pariser Vertrag von 1946, der Südtirols Nachkriegszukunft regelte, sichert nur den Schutz der „german speaking inhabitants oft the Bolzano Province“. Die Ladiner werden – bedeutungs- und fürsprecherlos – mit keinem Wort erwähnt. Von Seite der italienischen Parteien, vor allem der in Ladinien stark verankerten Degasperi-Partei Democrazia Cristiana, wurde weiter versucht, die Ladiner einzugemeinden. Die Südtiroler Solidarität bestand eher in Versuchen, die Ladiner auf die deutsche Seite zu ziehen. So buhlten SVP und DC um die Gunst der Ladiner. Das dauert bis heute fort, und die ladinischen Anliegen bleiben oft in der Mitte liegen.

Gerade die Instrumente des Minderheitenschutzes, die von der deutschen politischen Repräsentanz beschworen werden, werden halbherzig angewandt, wenn sie von den Ladinern gefordert werden. Stichwort Zweisprachigkeit. Stichwort Toponomastik. Oder das Schutzgewand, das für die Deutschen entworfen wurde, zwängt die Ladiner ein: Der ethnische Proporz etwa sollte theoretisch, auch den Ladinern Zugang zu öffentlichen Stellen verschaffen. Der kleine Prozentanteil, über den sie verfügen, wirkte sich oft eher als Aussperrklausel aus: In Bereichen mit einem knappen Stellenangebot bedeuteten die 4 % für Ladiner oft null Stellen. Damit sind die Ladiner aus ganzen Berufsgruppen und von vielen Spitzenpositionen ausgeschlossen. Für diese ergab die Proporzrechnung meistens ein simples Ergebnis: Chef wird ein deutscher Südtiroler, Vize ein italienischer. Ladiner sind in Spitzenpositionen nicht vorgesehen.

Einmal war ein Ladiner ja auch Landeshauptmann: Alois Pupp, zunächst als Ersatz für den kurz vor Legislaturende verstorbenen Landeshauptmann Karl Erckert berufen, dann die volle Amtszeit von 1956 bis 1960. In einem vertraulichen Aktenvermerk aus SVP-Kreisen für die damals führenden Nordtiroler Politiker, Landeshauptmann Alois Grauß und Staatssekretär Franz Gschnitzer, heißt es über den unmittelbaren Vorgänger von Silvius Magnago: „Pupp ist ein so genannter ‚Krautwelscher‘ und als solcher nicht ganz verlässlich. Ein Streber, dem es hauptsächlich um die Versorgung geht.“ Offenbar hatte es nicht einmal geholfen, dass er sich stets als deutsch erklärt hatte, um als verlässlich zu gelten.

„Nicht ganz verlässlich“ und strebsam um „Versorgung“ bemüht – da mischten sich wohl zwei tief sitzende Vorurteile gegenüber den Ladinern. Zum einen galten Ladiner, wenn sie sich nicht klar zum Deutschtum bekannten, als anfällig für Italianisierung. Gerade deshalb stützte sich die SVP in ihrer Ladinien-Politik vor allem auf Ladiner, die in der Partei den durchaus geschätzten, aber mitunter belächelten Ruf genossen, „deutscher als die Deutschen sein zu wollen“. Im Minderheitenverständnis der SVP waren nur deutsche Ladiner gute Ladiner. Ladiner hatten entweder eher deutsche oder eher italienische Ladiner zu sein, ladinische Ladiner waren nicht vorstellbar. Zum anderen hatte dieses einst arme Bergvolk, das sich durch den Tourismus und eine einfallsreiche Kleinindustrie beachtlichen Wohlstand erarbeitet hat, offenbar auch Neider. Mitunter, das darf ich kritisch vermerken, errötet freilich der Rosengarten nicht nur in Erinnerung an König Laurin, sondern auch angesichts der Vermarktung der ladinischen Reichtümer – die Natur und Kultur sind.

 

Mit Misstrauen begegnet das deutschsprachige Südtirol den Versuchen der Ladiner, die administrative Dreiteilung ihrer Sprachwelt zu überwinden. Entsprechende Forderungen schienen der SVP wie Ausbruchsversuche aus der „Zweifaltigkeit“ des einen Tiroler Volkes im Sinne von SVP- Gründer Amonn. Aber selbst innerhalb Südtirols, wo Grenzverschiebungen unproblematisch wären, gehören die beiden ladinischen Täler zwei unterschiedlichen Bezirksgemeinschaften an, das Gadertal dem Pustertal, Gröden der Bezirksgemeinschaft Salten-Schlern. Den Zusammenschluss zu einer ladinischen Talgemeinschaft ließ die SVP nicht zu. Die „Union Generela di Ladins dla Dolomites“ als Dachorganisation aller Dolomitenladiner wird von der Südtiroler Mehrheitspartei argwöhnisch betrachtet.

Vor zehn Jahren  nun tat die ladinische Bevölkerung, eine Gruppe davon, einen Schritt, der in etwa der Gründung der Südtiroler Volkspartei 1945 entspricht. Sie gründete eine – ich zitiere Giovanni Mischi – Volkspartei der Ladiner. Eine solche ethnozentrische Haltung, wie sie die SVP als überlebenswichtig für die deutsche Volksgruppe verteidigt, ist bei den Ladinern suspekt. Sie stellt den Alleinvertretungsanspruch der SVP für die „deutsch- und ladinischsprachige Minderheit“ in Frage. Sie war aber auch Alexander Langer nicht recht, da dieser die sprachgruppenübergreifende Politik versuchte und traurig war, dass nun auch in Ladinien der Trend zur ethnischen Gruppenbildung stärker wurde.

Als deutschsprachiger Südtiroler denke ich: Eine Minderheit muss souverän entscheiden dürfen, welchen politischen Weg sie für sich als besser erkennt. Es darf nicht sein, dass Mehrheiten der Minderheit diktieren, wie sie sich politisch organisiert. Die Gründung einer ladinischen Partei ist deshalb schon grundsätzlich zu respektieren. Der ladinischen Minderheit kann nicht angekreidet werden, was bei der SVP als Erfolgsgeschichte gefeiert wird. Persönlich gestehe ich, bei aller beruflichen Distanz zu allen Parteien, Respekt und Sympathie: Wenn Menschen an etwas glauben und eine politische Idee verfolgen, die nicht gegen jemand gerichtet ist, sondern für Rechte eintreten, die andere auch haben, dann kann nichts Falsch daran sein. Die Ladins-Gründung führt mich in Gedanken an die Statue vor dem Landhaus, wo Dietrich von Bern König Laurin nieder ringt – ein Denkmal, in dem sich – nach einer Interpretation der Mythos von der Verdrängung des Ladinischen durch das Deutsche widerspiegelt. Laurin war der Listenreiche, Dietrich der Mächtigere. Nun ist König Laurins Aufmüpfigkeit zurückgekehrt in die ladinischen Täler Südtirols, vielleicht nicht mehr als König Laurin, aber gewiss als Kater Carlo und Speedy Giovanni Gonzales – und vielen beherzten Leuten.

Ich möchte Ihnen/Euch eines ans Herz legen: Sperren Sie sich bitte nicht selbst in einen ethnischen Käfig. Die deutschen Kandidaten auf ihrer Liste von außerhalb Ladiniens sind ein Signal, dass sie sich nicht einigeln wollen. Der Wert der Ladiner in Südtirol ist gerade ihre mögliche Mittlerrolle zwischen zwei Kulturen und zwei Streithähnen. Ich hatte heuer einen Lehrauftrag in Klagenfurt/Kärnten, wo es ja eine ähnlichen ethnische Problematik wie in Südtirol gibt – da die Deutschen, dort die Slowenen, nur mit umgekehrter Mehrheit. In einem Streit um die zweisprachige Tafel der Universität – sie wird von Deutschkärntnern immer wieder abmontiert und gestohlen – wurde einmal ein Vorschlag macht, die Tafel doch dreisprachig zu beschriften, mit Italienisch als dritter Sprache, da diese in Kärnten von beiden Seiten als Nachbarsprache geschätzt wird. Warum eine dritte Sprache? Um die Gegenüberstellung im Zweikampf, die Dichotomie, die Duell-Position zu überlisten durch Hinzufügen eines dritten, die Streithähne ablenkenden Elements – eine Triangulierung des Konflikts. Seid die Dritten im Bunde, liebe Ladinerinnen und Ladiner, bringt Deutsche und Italiener aus der Frontstellung heraus, in dem ihr den dritten Winkel bildet, la terza sponda. Das wäre ein Beitrag zur Befriedung Südtirols. Ich wünsche ihnen Selbstbewusstsein ohne Überheblichkeit, Patriotismus ohne Fanatismus, Eigenständigkeit ohne Isolation, Heimat ohne den Wahn, andere von der Heimat ausgrenzen zu müssen – Ich weiß: ich muss das in viel höherem Maße dem deutschen Südtirol wünschen.

Alles Gute, Ladins (und jetzt versuche ich es trotzdem: Döt’le bun!)

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