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Hans Karl Peterlini

Weingartnerisch

Zum Abgang von Wendelin Weingartner als Landeshauptmann von Tirol, Jahresende 2002, Tiroler Landeszeitung

 

Wenn so einer geht und ihm etwas hinterhergeschrieben werden soll, dann laufen gern die Brillen an: vor lauter Rührung und Nettseinmüssen oder weil der Zorn über die noch frischen blauen Flecken aus dem Tageshandgemenge den Blick trübt. Wendelin Weingartner, der jetzt seine Ära beschließt, von der man sehen wird, ob's denn eine Ära war, wird gern als Pokerspieler beschrieben, und ich wette, es war sein Spielzug, dass ich, der Auslandstiroler, auserkoren wurde, ihm es zum Abschied noch einmal einizusagen.

 

Denn von mir wie von den Südtirolern überhaupt weiß man, wir mögen ihn, komischerweise, und nicht nur, weil seine Mutter eine hiesige Katakombenlehrerin war und sein Vater ein Osttiroler, was sowieso schon ein Bonus ist. Wer so viele Politiker zu Tiroler Themen hat schwadronieren hören, der bekommt ein feines Ohr für Gscheites und für Schrott. Ich höre sehr viel Schrott, aber von Weingartner habe ich immer nur Gscheites gehört. Wenn es ein Gesamttirol gäbe und einen Gesamttiroler Landeshauptmann, dann hätte dieser Platz Weingartner gebührt. Unser Luis Durnwalder muss der bessere Landeshauptmann für sein Land sein, sonst wäre das Sonnenkönigtum des einen und das Hamlet'sche Wanken des anderen im jeweils eigenen Reich schwer zu verstehen. Aber Weingartner war der bessere Gesamttiroler.

 

Das ist kein Maßstab aus innenpolitischer Sicht, zugegeben. Setzen wir daher eine andere Brille auf: Was wird von Weingartner bleiben, wenn in zehn Jahren von ihm geredet wird? Er war kein neuer Walli, sondern das Gegenteil: nicht der Bauernoberbürgermeister Tirols, nicht der zum Denkmal gemeißelte Charakterschädel, in dessen verwitterten Stirnfurchen und buschigen Augenbrauen sich ein Land wiedererkennt und kuschelt, sondern der kühle, überlegte, distanzierte, gewitzte Nachdenker. Banker ist eine gängige Formel für Weingartner, aber mir greift sie kurz, er hat nicht nur wirtschaftlich gedacht, sondern Fäden gesucht, verbunden, versponnen - in einem Modernisierungsprojekt, das auch wirtschaftlich war, aber etwas vom Tiroler-Sein in eine neue Zeit herübergerettet hat. Wenn man mit Weingartner redete, war Wirtschaft auch immer Kultur und Kultur immer Wirtschaft.

 

Selber hat er gesagt, er ist stolz darauf, ohne Denkmal abzutreten. Das könnte eine schlaue Ausrede für den Fall sein, dass in zehn Jahren niemand mehr weiß, was denn dieser Weingartner hinterlassen hat. Oder er hat nur geblufft, denn er hinterlässt sehr wohl etwas: ein paar kluge zeitüberdauernde Grundüberlegungen, was nicht von jedem Politiker gesagt werden kann, er hat Anstöße für den Technologieschub in Tirol gegeben, er hat es verstanden, den Tiroler Widerstand, von Europa überfahren zu werden, nicht hängen zu lassen, sondern vorzuspannen. Ein Momentl lang schien es, als könnte Weingartner ein Tiroler Wir-und Anti-Wien-Gefühl nutzen, um doch noch populär zu werden. Er war, vermutlich, auch dafür zu gscheit.

 

Oder zu vornehm. Oder zu volksfern. Am ehesten Volksmensch war er, als in Galtür alle Sicherheiten von der Lawine fortgerissen wurden, da stand er vorübergehend da als einer, auf den sein Volk sich verlassen kann; sonst hat er es lieber verunsichert durch Gedankenkapriolen und Provokationslust.

 

Der da geht, war kein Landesfürst. Wie wohl das tut. Eine Befreiung ist es von der Last, dass führende Tiroler immer Feldherren oder wenigstens Leithammel sein müssen. Das war er nicht, kein Volkstribun, nicht der stärkste Raufbold und Bauernlaggl seines Landes, eher ein weitsichtiger, umsichtiger, vorausdenkender, vielleicht etwas einsam und eigensinnig agierender Aufsichtsratsvorsitzender seines Betriebes Tirol. Es gibt im modernen Management oft Kraftmeier, die jeden Tag Aufbruchsstimmung hinausschreien und doch nur im Konkurs landen; es gibt Sachwalter, aus deren nüchterner Aktenführung sich plötzlich eine Vision ergibt, sanft, aber einen ganzen Betrieb durchdringend. Weingartners Schwächen waren, sagt man, der Abstand zum Gasthauspudel, sein Unwille, sich für Wahlkämpfe unters Volk zu mischen, seine Unfähigkeit, sich Sympathien zu schaffen - weder ganz unten an der berühmten Basis, noch dort, wo einem Politiker von Knechten und Freunden die Steigbügel gehalten werden müssen, wenn er im Sattel bleiben will. All dies muss nicht, kann aber auch eine Stärke gewesen sein. Sagen wir es neutral: eine Qualität.

 

Er steigt vom Ross, als Nummer 8 in einem Tiroler Landes-Ranking, um fünf Plätze gefallen ausgerechnet in den letzten Wochen seiner Regentschaft, hergewatscht im letzten Amtsjahr. Es mag der Anfangsschwung weggewesen sein zuletzt, er hat seinen Nachfolger verräumt um den Preis, selber blutig geschlagen zu sein und den neuen Nachfolger nicht bestimmen zu können, er hat sich für sein Gesamttirol geschlagen, ohne dessen bisher konkretestes Projekt, die Bank, durchzukriegen. Es hat in diesem Streit gewundert, wie wenig Rückhalt er hatte. Er ist natürlich auch ein Machtmensch, der die Grenzen seiner Macht erkannt hat und sie hochmütig zur Kenntnis nimmt, aber letztlich passt so ein Abgang zu ihm: stolz, durchaus arrogant, gegenüber jenen, die seine Qualität nicht verstanden haben, aber mit dem Kopf oben, schlussendlich freiwillig, wenn auch geschoben und gezogen, aber keinen Tag zu früh, keinen Tag zu spät, weingartnerisch.

 

Der Aufsichtsratsvorsitzende der Tirol AG schließt seine Akten, ich finde, sie sind aufgeräumt; in einigen wird noch geblättert werden müssen.


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