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Die Schweitzer-Saga

Die Geschichte einer Unternehmerfamilie, die vom Handel mit Schmieröl zum modernen Ladendesign kam, immer wieder vor dem Ende stand und daraus immer wieder die Kraft für neue Aufbrüche schöpfte - eine Erfolgsstory mit leidenschaftlichen Tiefen und Höhen

Von Hans Karl Peterlini

Es waren unruhige Zeiten damals, als alles anfing. In Deutschland erreichte die Inflation 1923 aufgrund der Reparationsforderungen der Siegermächte des Ersten Weltkrieges absurde Ausmaße, der Wert eines einzigen Dollars schnellte binnen Monaten von 600.000 auf 40 Milliarden Reichsmark an, Österreich wurde in den Strudel mitgerissen. In Italien hatte der Faschismus die Macht ergriffen und leitete einen scheinbaren Aufschwung ein, die Lira zeigte sich gestärkt, ein massives Industrialisierungsprogramm ließ auf eine neue Ära hoffen.

In Südtirol, das 1919 aus dem zerbrochenen Habsburgerreich ausgegliedert und an Italien angeschlossen worden war, aber wurde der neue Wirtschaftskurs als Beginn einer systematischen Entnationalisierungspolitik erlebt, die alle heimischen kulturellen und wirtschaftlichen Grundlagen zu zerstören trachtete – mit der Ansiedlung von Großindustrie in Bozen und Meran, mit der nun massiv betriebenen Ausbeutung der Wasserkraft zugunsten italienischer Massenansiedlungen. Der Schub der Technisierung für die bodenständige Wirtschaft war dagegen bescheiden, 1922 etwa wurde in Südtirol der erste Traktor angeschafft, zehn Jahre später waren es insgesamt nicht mehr als fünf Traktoren. Dafür litt die Südtiroler Wirtschaft an Absatzschwierigkeiten, der Export nach Deutschland zerbrach an Währungsgefälle und Schutzzöllen.

Die Schweitzer waren zu dieser Zeit eine der zwei führenden Unternehmerfamilie in Lana. Josef Schweitzer sen. hatte vier Schwestern, zwei von ihnen heirateten zwei Zuegg-Söhne, Karl und Vigil, die 1922 die „K & V Zuegg“ gründeten und mit Konfitüreherstellung im größeren Stil begannen. Die Familie Schweitzer war in Lana der größte Grundbesitzer, manche Flurnamen wie die „Schweitzer Auen“, die „Schweitzer Loasen“, das „Schweitzer Haus“ auf dem Vigiljoch erinnern heute noch daran. Kernstück des Familienunternehmens war eine Gerberei. Diese ging auf Josef Schweitzer jun. über, der mit seiner Frau Berta Tribus eine Dynastie begründete – 16 Kinder hatte das Paar, 14 schafften es ins Leben, elf Söhne, drei Töchter. Der erste Weltkrieg aber hatte das Unternehmen schon viel Substanz gekostet. Zur Not der Südtiroler Wirtschaft unter dem Faschismus – mit massenhaften Hofversteigerungen und daniederliegenden Betrieben – kam ein nicht mehr verkraftbares Unglück hinzu: Eine Schiffsladung von Ware, die im voraus bezahlt hatte werden müssen, gelangte wurmzerfressen im Hafen an. So stand Josef Schweitzer jun. 1923 mit seiner Familie vor dem wirtschaftlichen Ruin.

Leo Schweitzer war der zweitälteste der Kinder des Josef Schweitzer jun., er schloss eine Elektrolehre ab und arbeitete 1926 im „Ufficio elettrico di Castelrotto“. Zum Jahresende quittierte er den Dienst, mietete in Lana einen Raum und gründete mit seinem ältesten Bruder Josef Mercantile Schweitzer. Aktive Hilfestellung dabei leistete ein Bruder der Mutter, Josef Tribus. Damit beginnt der Einstieg der Schweitzer-Familie in den Handel. „Wir sind Krämerseelen“, sagt selbstironisch der heutige Firmensenior Norbert Schweitzer, Sohn des Leo, „das Motto ist jenes des Ultner Bäcker: Eine Semmel kostet mich 1 Lira, ich verkaufe sie um zwei – und von dem einen Prozent Aufschlag muss ich leben.“ Im wirklichen Leben freilich sind die Gewinnspannen etwas realistischer bemessen.

Der Handel der Mercantile Schweitzer war zunächst gleich vielfältig wie fantasievoll: Die Firma handelte mit Ölen und Fetten, vor allem für die Radwerke und Naben der Rosswagen. Die zaghafte, später beschleunigte Technisierung von Landwirtschaft und Handwerk schaffte allmählich einen neuen zusätzlichen Markt. Ein Händler klammert sich nicht an ein Lieblingsprodukt, sondern schaut, was der Markt braucht – und brauchen könnte. Leo Schweitzer war darin besonders findig. Wenn man schon zum Bauer geht und ihm Schmieröl für seine ersten Maschinen bringt, kann man ihm auch gleich Labtücher und Labpulver für das Eindicken der Milch zu Käse und Buttermodel für die Formung der frischen Butter anbieten. Zum Schmieröl kam so, fast natürlich, der Handel mit Molkereiartikel hinzu. Kein Weg war dem Schweitzer Leo zu beschwerlich, jede Sennerei, jede Alm bekam von ihm, was sie brauchte.

Noch war der fliegende Händler Leo Schweitzer genau genommen ein radelnder Händler. Die Kunden im näheren Umkreis besuchte er mit Tagesabstechern, einmal im Monat aber nahm er sich eine ganze Woche Zeit, um das Pustertal abzugrasen: Um vier Uhr früh stieg er in Lana aufs Rad, um zwölf Uhr Mittag kam er – gut trainiert – in St. Lorenzen an, wo er im Gasthof Schifferegger sein Basislager einrichtete. Auf dem Gepäcksträger vor der Lenkstange hatte er ein Köfferchen mit Hemd und Hose zum Wechseln, mit Seife und Zahnbürste zum Frischmachen, auf der größeren Kiste auf dem hinteren Gepäcksträger hatte er die Warenmuster verstaut. Genauestens führte er in einem kleinen schmalen Heftchen Buch darüber, wer ihm um wie viel etwas abgekauft hatte – und wieviel er der Familie, die brotlos geworden war, wieder geben würde können. So notierte er etwa an einem Tag den Eingang von 14 und 56 Lire. Von 400 Lire, die er einnahm, überwies er 350 der Familie. „Wir müssen etwas tun, damit wir Geld verdienen“, war sein durchaus existenzielles Motto, „denn wir haben daheim zwölf Geschwister und di ehabne jeden Tag Hunger.“ Am Samstag zu Mittag stieg er in St. Lorenzen wieder aufs Rad, gegen 22 Uhr kam er müde, aber erfolgreich wieder in Lana an.

Zwischen Vinschgau und Pustertal kreuzte Leo Schweitzer mit seinem Rad – einem Exemplar seiner Zeit, ausgestattet nur mit Rücktrittsbremse – beinahe überall auf, wo sich etwas verkaufen ließ. Der Raum in Lana diente ihm als Büro, aber ein Händler darf nicht im Büro Daumen drehen, sondern – das lernte er intuitiv – muss hinaus zur Kundschaft. In jedem Dorf hatte er ein paar Kunden, laufend erweiterte er sein Sortiment. Für den allmählich wachsenden Automarkt in Südtirol importierte er das Motoröl der Marke Valvoline aus den USA. Der Frächter in Lana, der Müller Rudl, war mit seinem Rossgespann ständig zwischen Meran und Lana für die Mercantile Schweitzer unterwegs.

Das Geschäft florierte, Leo Schweitzer begann, „Handelsvertreter“ anzuwerben, die für ihn die Orte besuchen und die Bestellungen aufnehmen. Und schon nach zwei Jahren (1929)  war Leo Schweitzer so weit, dass er von seinem Onkel Josef Tribus sein erstes Auto anmieten, später sogar kaufen  konnte, einen Fiat 501, den er zum Lieferwagen umbaute. Nach und nach weitete sich der Fuhrpark der Mercantile Schweitzer aus auf drei 501er, die Kennnummern kennen seine Söhne auch nach 60 Jahren noch auswendig – BZ 93, BZ 236, BZ 336. Sie lernten damit Autofahren und durften die ausrangierten Modelle zerlegen und zusammenbauen. Besonders nachgerüstet werden mussten die Halbachsen, die regelmäßig zu Bruch gingen, weshalb man sich beim Alteisenhändler dutzendweise Achsen auf Vorrat kaufte. 2007, im 80 Jahr des Bestehens, zählt die Schweitzer-Holding 60 Firmenautos.

Um 1934 zogen Josef und Leo Schweitzer mit ihrer Firma nach Bozen um und eröffneten ein Geschäft in der Gerbergasse Nr. 16. Die zentrale Lage in der Stadt (direkt gegenüber dem damaligen Bozner Bordell) ermöglichte einen direkten Publikumskontakt in größerem Stil. International war man damals schon: Für die Molkereiartikel kooperierte die Schweitzer mit der Labherstellerfirma Hauser in Ottmarshausen. Und ungefähr zur selben Zeit machte die Mercantile Schweitzer eine Qualitätssprung: Sie lieferte nicht mehr nur die Geräte und Mittel zur Butter- und Käseherstellung, sondern auch zu deren Lagerung und Kühlung. Die Schweitzer Mercantile übernahm die Vertretung für Kühlanlagen von Bayer in Augsburg. Die sich rapide weiterentwickelnde Kältetechnik eröffnete völlig neue Möglichkeiten für die Herstellung und Aufbewahrung von Lebensmitteln. Zuerst schafften sich Molkereien Käse- und Butterkühlanlagen an, dann folgten die Metzgereien, schließlich auch Gasthäuser und Hotels. Es handelte sich noch um Kühlräume, da die Technik für Kühlschränke noch zu raumgreifend war. Die erste dieser Kühlzellen, die mit einem Ammoniakkessel in ihrem Inneren betrieben wurden, baute die Mercantile Schweitzer 1936 in Rein in Taufers im Gasthaus Berger.

Das Jahr 1936 war für Leo Schweitzer auch privat ein besonderes Jahr – er heiratete Margarethe Waibl, eine Schwester der Frau seines Bruders Josef Martha Waibl. Hochzeit war am 28. November in Trens, aber der Bräutigam eilte von dort gleich weiter nach St. Martin in Passeier, weil er dort übers Wochenende zwei Kühlräume mit Kork und Teer fertig zu isolieren hatte, damit am Montag die Maurer ihre Arbeit weitermachen mussten. Das war wohl symptomatisch für die Wertigkeit, den das Fertigstellen einer Arbeit im Schweitzer Firmenmythos genießt. Das erste Weihnachtsfest nach der Hochzeit verbrachte Leo Schweitzer dann in einem Gasthaus zwischen Cortina und Toblach, wo es ihn mit seinem Lastwagen hoffnungslos eingeschneit hatte. Die Eltern der beiden Waibl-Töchter betrieben in Meran unter den Lauben ein Lebensmittelgeschäft. Das junge Paar zog in dieses Laubenhaus nach Meran, wo alle vier Kinder zur Welt kamen – Waltraud (1938), Helmut (1940), Norbert (1941) und Helga (1949) geboren. Das Geschäft in Bozen wurde beibehalten, bald übernahm Leo Schweitzer dazu noch das Geschäft in Meran. War er schon bis dahin die treibende Kraft gewesen, lastete der Betrieb ab dem Jahr 1939 ganz auf ihm: Die Südtiroler Bevölkerung wurde durch das Optionsabkommen zwischen Hitler und Mussolini vom Jahr 1939 vor die Wahl gestellt, kulturell schutzlos in Italien zu bleiben oder ins Deutsche Reich auszuwandern, beinahe die ganze Familie zog weg, auch sein ältester Bruder Josef Schweitzer.

Leo Schweitzer baute seine Tätigkeit mit unvermindertem Einsatz weiter aus: Er begann zusammen mit Tischlereien – zunächst vor allem mit dem Zimmerer und Tischler Alfons Platzer in Lana –  Kühlmöbel zu bauen, besorgte sich dafür rostfreie Stahlabdeckungsplatten in Mailand, isolierte die Holzkonstruktionen mit Kork und Teer. Schon kündigt sich darin der nächste Entwicklungsschritt an – hin zum Einrichtungsbauer: Zu den Kühlmöbeln konstruierte Schweitzer auch Pudel und Kühlschränke in der selben Art und belieferte damit Gasthäuser und Hotels. Mit dem Tischler Jakob Tischler in Untermais (dem Vater des bekannten Karikaturisten Pepi Tischler) entstand eine langjährige, anhaltende Zusammenarbeit. Schon kündigte sich der Siegeszug des Eiskastens an, nach dem 2. Weltkrieg wird der Markt explodieren.

In den Krieg zog Leo Schweitzer nicht als Soldat, sondern weiterhin als Händler, als unerschrockener Vater Courage. Während seine zehn Brüder eingezogen wurden und die zwei älteren Schwestern als Sanitäterinnen eingesetzt wurden, lastete auf ihm die Pflicht, die Familie zu versorgen. Knappheit an Ware ist für einen Händler, sofern er sich Ware zu verschaffen vermag, ein Glücksfall. Mit einem LKW fuhr er, oft in Begleitung seines Cousins Carl Zuegg, regelmäßig Richtung Mailand, um all das einzukaufen, was in Südtirol irgendwie gebraucht wurde – Nägel für die Kisten der Obstmagazine, zentnerweise Schuhnägel für die Grobgenähten von Bauern und Soldaten, Kämme für Friseure, Zucker für die Zuegg, Geschirr für Gasthäuser. Betrieben war der LKW mit einem Holzgasmotor, den die Automobilindustrie in den 20er und 30 Jahren entwickelte. Ging der Brennstoff, der durch Verbrennung von Holz unter Luftausschluss gewonnen wurde, während der Heimfahrt aus, wurde mit hochprozentigem schwarzgebranntem Schnaps nachgetankt, manchmal auch mit einem Marrilleler – der Holzgaser fuhr anstandslos weiter. Gefahren wurde nur Nachts, die Scheinwerfer wurden mit Tüchern verhängt, in die schmale Schlitze geschnitten wurden. Die sichersten Routen führen über die Judikarien, die Tallandschaften nordwestlich des Gardaseegebietes und über den Tonale Pass Richtung Nonsberg.

So hätte Leo Schweitzer den Krieg wohl als reicher Mann hinter sich gebracht. Da wurde am 23. April 1945, zwei Tage vor dem Sturz Mussolinis in Italien, in der allerletzten Kriegswoche, sein Lastwagen am Nonsberg zwischen Fondo und Sarnonico von einem US-Tiefflieger beschossen und getroffen. Leo Schweitzer und Carl Zuegg konnten sich in den Betonschacht eines Sägewerkes retten, der Lastwagen aber brannte ab, und was von der Ware nicht zu Asche wurde, war binnen zweier Stunden geplündert. Übrig blieben angekohlte Rosenthal-Teller und angesengte Kämme, die Leo Schweitzer noch lange bei sich zu Hause hortete – mehr aus Nostalgie, denn aus Gewinn. Die Ware hatte er in Mailand oder Lecco jedes Mal bar bezahlen müssen, der Verlust einer ganzen Lieferung bedeutete für ihn beinahe dasselbe wie für seinen Vater: Er war Pleite.

Doch anders als dieser war Leo Schweitzer noch jung. Er begann einfach wieder von vorn. Am Tiefstpunkt ganz nach oben zu greifen – dies scheint eine Eigenschaft zu sein, die den Schweitzer ausmacht. Leo Schweitzer bekam Wind, dass der albanische Botschafter in Rom, der sich in Gratsch ober Meran eine Privatresidenz eingerichtet hatte, wegen des kommunistischen Umsturzes in Albanien zurückziehen musste und sein Haus zum Verkauf anbot. Es war der Ansitz „Tschaupp am Egg“, seit Jahren unbewohnt und schon im Verfall begriffen, aber von Lage und Anlage her doch ein Juwel: ein Herrschaftshaus im Jugendstil mit einigem Grund und einem Bauernhof, prachtvoll gelegen unter Schloss Tirol und Brunnenburg. Leo Schweitzer, der selbst kein Geld mehr hatte, erzählte davon seinem stets ebenfalls gönnerhaften Onkel Vigil Zuegg, der sofort begeistert war – so eine Gelegenheit dürfe er sich nicht entgehen lassen. Er gab ihm sein Sparbüchl mit dem Hinweis, er solle sich nehmen, was er brauche, und es zurückzahlen, wann er könne – Leo Schweitzer kaufte ein halbes Jahr nach seinem Ruin den Ansitz.

Es war wohl auch ein innerlicher Antrieb, sich nicht dem Schicksal zu ergeben. Von den zehn Brüdern kehrten neun glücklich aus dem Krieg zurück, Ernst Schweitzer wurde seit 1942 in Stalingrad vermisst, in seinem letzten Brief hatte er von Erfrierungen an beiden Beinen geklagt. Drei jüngere Brüder stiegen in die Firma von Leo Schweitzer ein. Der Handel mit Kühlanlagen wurde nun in großem Stil betrieben. Die Mercantile Schweitzer übernahm im Kühlanlagengeschäft die Vertretung der Frigidaire der General Motors.

Es ging wieder aufwärts. 1947 wurde ein zweites Geschäft eröffnet und der Hauptsitz der Firma nach Meran in das Laubenhaus 223 verlegt, dem Elternhaus der Frau von Leo Schweitzer. 1948 präsentierte sich Schweitzer auf der ersten Bozner Mustermesse nach dem Krieg, die neuen Kühlmöbel waren der Messehit. Der sich ankündigende Tourismusboom ließ das Geschäft mit Pudel und Kühlmöbeln für Bars und Gasthäuser florieren. Neben den Metzgereien und den ausbauenden Lebensmittelgeschäften wurden auch einzelne Bauern, die noch selbst schlachteten, zu Käufern von Großkühlschränken. Und eine neue, große Kundschaft stand an: die Obstgenossenschaften mit ihrem Bedarf nach großen Kühlhäusern.

Die Kältetechnik machte in dieser Zeit große Schritte. Die Fluorchlorkohlenwasserstoffen (FCKW) wurden in ihrer Wirksamkeit für Kühlanlagen entdeckt und unter dem Handelsnamen Frigen vermarktet. Über Partnerschaften – BASF und Frigolit Worms – importierte die Mercantile auch einen neuen, die Kühltechnik revolutionierenden Isolierstoff, das Styropor oder Frigolit. 1953 richtete Schweitzer zusammen mit der Frankfurter ATE für Schwarz-Weber im Südtiroler Unterland das erste Obstkühlhaus ein. Die Firma des deutschen Wirtschaftskapitäns Alfred Teves hatte sich auf Kühlanlagen für Autos spezialisiert, zugleich wurde sie zum Inbegriff für die Feintechnik der deutschen Automobilindustrie – vor allem Kühltechnik und Bremssysteme. Die Terlaner Obstgenossenschaft war die zweite große Kundschaft – und andere folgten.

Europaweit explodierte, ab Beginn/Mitte der 50er Jahre, nun auch der private Haushaltsmarkt, mit seinem Bedürfnis nach Erleichterung und Verschönerung des Lebens nach den Entbehrungen des Krieges. Schweitzer lieferte zunehmend Kühlschränke und Waschmaschinen für den neuen Techno-Boom in der Ära des „Schaffe, schaffe, Häusle baue“, die mit etwas Verspätung auch Südtirol erreichte. Die ersten Haushaltskühlschränke, die ersten Waschmaschinen, die ersten Wäschetrockner, die ersten Geschirrspülmaschinen, die ersten amerikanischen Metallküchen mit Hängeschränken, die ersten modernen Kaffeemaschinen, automatische Wagen, Aufschnittmaschinen.

Und wieder blühte der Handel. Die Schweitzer Mercantile zog in ein stolzes Prestigegebäude in Bozen – in das Hochhaus am Sernesiplatz – und richtete ein Eckgeschäft ein. Beim 25-jährigen Firmenjubiläum feierte die Schweitzer bereits im großen Stil, über ein Dutzend Kundendienstautos fuhren auf. Bei der Mustermesse 1955 bewunderte Staatspräsident Luigi Einaudi die Kühlschränke auf dem Schweitzer Messestand und schüttelte Leo Schweitzer die Hand. Diesem arbeitete zu dieser Zeit an einer nationalen Pioniertat – er vermittelte für Escher Wyss in Zürich die Kühlanlagen für das Eisstadion in Cortina für die Olympischen Winterspiele 1956. Stolz nahm er die beiden Söhne Helmut und Norbert zur Eröffnung der Olympiade mit.

1957 war Norbert Schweitzer 16 Jahre alt, am 1. Juli trat er – unmittelbar nach dem Abschluss der Handelsschule – vollzeitig und operativ in die Firma ein. Anders als sein um ein Jahr älterer Bruder Helmut, der die fünfjährige Handelsoberschule besuchte und sich auf ein Studium einrichtete, hatte Norbert Schweitzer zu diesem Zeitpunkt schon eine enge  Bindung an den Betrieb. Sein Vater hatte ihn schon als zehn-, zwölfjährigen mitgenommen, beim Schifferegger in St. Lorenzen fühlte sich der Bub wie daheim, die zum Gasthaus gehörende Metzgerei mit Schlachthaus war sein Revier.

Norbert Schweitzers erstes eigenes Aufgabengebiet im Betrieb war vor allem der Verkauf im Außendienst. Mangels Führerschein saß bei den Fahrten durchs Land zunächst der langjähriger Mitarbeiter und Magazineur Werner Vonach am Steuer. Ab 1958, wenn er 18 sein würde, sollte Norbert in Karlsruhe eine Fachausbildung in Kältetechnik machen. Er schrieb sich an der spezialisierten Fachhochschule ein und merkte für September das Zimmer vor. Da kam ihm – im August – ein Konflikt in der Firma dazwischen. Zu schnell war die Firma wohl gewachsen, zu unübersichtlich war mit einem Mal die Lage geworden. Die Brüder drängten darauf, dass Leo Schweitzer seinen  Ansitz in Gratsch verkaufe, dieser aber wollte sich sein Schmuckkästchen nicht nehmen lassen, lieber verkaufe er die Niederlassung in Bozen. Die Brüder verließen daraufhin, zusammen mit einem Cousin, geschlossen die Firma und machten nun unter dem Namen „Schweitzer“ der „Mercantile Schweitzer“ Konkurrenz.

Für Norbert Schweitzer hieß dies, seine Studienpläne fallen zu lassen und, 18 Jahre jung, gegen die Onkels anzutreten. Ein ungleicher Kampf, hatten diese doch – während Leo Schweitzer sich auf das Großgeschäft konzentriert hatte – den Vertrieb von Kühlanlagen, Kücheneinrichtungen und Bartheken völlig in ihrer Hand. Und wieder einmal war das Unglück ein Glück, der scheinbare Absturz nur die Vorstufe zu einem Aufschwung: Um dem direkten Konkurrenzkampf einigermaßen auszuweichen, begann die Mercantile Schweitzer Kompletteinrichtungen für die vielen neu entstehenden Gemischtwarenläden und für Metzgereien anzubieten – der erste Schritt in Richtung Ladenbau.

Zuerst waren es zum Kühlschrank die Vitrinen dazu, bald aber folgten Regale, Ausstellungsschränke, Wandteile abgestimmt auf die jeweilige Ware. Die Mercantile des Leo Schweitzer knüpfte Partnerschaften mit Detroit, Ladenbau Schmitt und Arnold-Kühlung. Und neben dem traditionellen Lebensmittelgeschäft entwickelte sich die Konfektionsbranche zu einem neuen Geschäftszweig. In der Krise nicht zurückstecken, sondern offensiv zu bleiben – das Credo des Leo Schweitzer bewahrheitete sich ein weiteres Mal: Die Firma wurde in „Mercantile Leo Schweitzer“ umbenannt, um den Unterschied zu seinen Brüdern zu markieren; den Ansitz in Gratsch baute er 1962 zum Hotel aus, was allerdings ein gewagtes Unternehmen war – später wurde es wieder abgerissen. Binnen fünf Jahren aber hatte seine Firma jene der Brüder aus dem Feld geschlagen, die meisten der verlorenen Kunden kehrten zurück.

Und die Firma hatte, in der Not, eine neue Perspektive gefunden: den Ladenbau. Wichtige Verdienste daran schreibt Norbert Schweitzer seinem Lehrmeister Werner Vonach zu, gemeinsam wurde die Schmitt Ladenbau in Würzburg für eine Partnerschaft gewonnen. Die Fähigkeit mit Firmen außerhalb des Landes zu kooperieren, zeichnete die Schweitzer schon früh aus – lange bevor Globalisierung ein Begriff war. Für die Bartheken, Kaffeeexpressmaschinen, Speiseeiszubereiter, Kühlmaschinen von Frigidaire der General Motors hatte Schweitzer die Vertretung in Italien. Eine eigene kleine Tischlerei in Untermais – nahe dem Partnerbetrieb Tischler – war Ausdruck für den Aufschwung. Mit Tischler und Platzer kooperierte man aufgrund der guten Auslastung weiterhin.

Landauf, landab richtete Schweitzer zwischen 1961 und 1967 rund 100 Gemischtwarengeschäfte ein, dazu 130 Metzgereien, die komplett und schlüsselfertig übergeben wurden. Der Handel mit Ölen und Fetten wurde noch eine Zeitlang weitergeführt, dann ebenso wie die Molkereiartikel allmählich eingestellt. Die neuen Geschäftszweige waren vielversprechend und forderten die volle Kraft. 1962 musste Norbert Schweitzer zum Militär, aber er schaffte es, von der Kaserne aus weiter für die Firma zu arbeiten. Zugleich stieg nun sein Bruder Helmut, der die Handelsoberschule absolviert hatte, in die Firma ein – wie Norbert eigentlich in der Absicht, ein Studium abzulegen. Aber auch er stand plötzlich – als ein Onkel starb, der die Verwaltung geführt hatte - vor der Notwendigkeit, für die Firma zu arbeiten.

Auch Helmut Schweitzer lernte schon gleich von Anfang, dass eine Firma mit dem Auf und Ab leben muss. Der Hotelbau des Vaters in Gratsch brachte Belastungen mit sich, Leo Schweitzer stand vor der Alternative, entweder das Anwesen in Gratsch oder das Laubenhaus der Mutter seiner Frau zu verkaufen – schließlich entschied man sich dafür. Und erneut war der scheinbare Abstieg nur der erste Schritt zum neuen Aufstieg. Die Tischlerei wurde nun in die Gampenstraße Nr. 51 verlegt, die Verwaltung mietete sich beim nahen Rösslwirt ein. Zwar wurde der Handel mit Haushaltsgeräten mangels eines Detailgeschäftes in guter Lage, wie es die Lauben gewesen waren, nun zurückgenommen und schließlich ganz eingestellt; dafür war die größere Tischlerei nun leistungsfähiger für die Erweiterung des Angebots im Einrichtungsbau.

Wieder spiegelt sich in der Firmengeschichte der Schweitzer eine Entwicklung der Südtiroler Wirtschaft – die industrielle Herstellung und Reifung von Speck und Wurstwaren bahnte sich ihren Weg. Leo Schweitzer hatte schon in seinen frühen Zeiten die Metzgerei des Ferdinand Senfter in Innichen betreut, nun wurde Senfters neue erste Großreifanlage für Speck eingerichtet, ebenso für Walter Schmid in Tschars, Zeni in Burgstall, Christanell in Naturns, Unterberger im Cadore. Die Fleisch- und Wurstfabrik von Gasser in Klausen – auch dies die Wandlung eines Dorfmetzgers zum Industriellen – verwirklichte Schweitzer 1967 von der Planung bis zur Bauleitung in Eigenregie.

Es ist das Jahr des Generationswechsels. Leo Schweitzer tritt aus dem operativen Geschäft aus und übergibt seinen Söhnen je 40 Prozent Anteile an der Firma, selbst behält er sich eine Minderheitenbeiteiligung zurück. Die Mercantile des Leo Schweitzer wird in Mercantile Schweitzer KG umgewandelt, die Söhne werden zu Komplementären mit Mehrheitsbeteiligung, der Senior wird Kommanditist mit einem Minderheitenanteil. „Wenn ihr mich braucht’s“, sagt er zu Norbert Schweitzer, „bin ich da, wenn ihr mich nicht braucht’s ist es mir lieber.“

Es ist keine Erbschaft zum Zuckerschlecken. Aber Norbert Schweitzer ist voller Aufbruchslust, sucht neue, leistungsstarke Partner in ganz Europa, reist gezielt die Fachmessen ab, spricht mögliche Kunden und Partner an. Auf der Euroshop 1969 in Düsseldorf kann ein wichtiger Kontakt mit der führenden europäische Ladenbau-Firma DULA des deutschen Wirtschaftspioniers Heinrich Dustmann geknüpft werden. Eine enge langjährige Zusammenarbeit entsteht, 1971 wird Schweitzer exklusiver Lizenznehmer für DULA in Italien und Österreich.

Die Schweitzer Mercantile wächst und braucht bald schon wieder mehr Platz. 1972 wird, nach einigem Suchen und Irren, die Firma an ihren heutigen Sitz nach Naturns verlegt, aus der Schweitzer KG wird eine AG. Nach dem Tod von Leo Schweitzer 1977 werden die beiden Söhne die Firma zu je 50 Prozent übernehmen. „La Cooperativa“ in Cortina ist der erste wirkliche Großauftrag im Ladenbau, damit setzt Schweitzer Akzente. 1975 wird die erste Auslandsfiliale in Innsbruck eröffnet, zur Spezialisierung für den klassischen Ladenbau kommen – Zeichen des wachsenden Dienstleistungssektors in Südtirol – Abteilungen für die Einrichtung von Banken und Büros hinzu. Und der boomende Südtirol Tourismus eröffnet einen hungrigen Markt, den Hotelbau. Schweitzer richtete Prestigeprojekt um Prestigeprojekt ein – Waldheim in Bruneck, Gerstgrass in Schnals, Gurschler in Kurzras, Rudolf in Reischach, Schwarzschmied in Lana, Obereggen im neu erschlossenen Skigebiet, Tubris in Taufers, Postresidence in Innichen, Rudiferia in St. Kassian, das Grand Hotel Sulden, um nur die bekanntesten zu nennen.

Aber es war ein Boom auf Pump, viele bauten ihre Hotels aufgrund der hohen Inflation, die zunächst äußerst hilfreich war beim Abzahlen der Schulden. Als die Landesregierung mitten in der Euphorie auch noch ankündigte, dass mit dem neuen Landesentwicklungsplan (dem LEP) dringend die Bremse gezogen werde zum Schutze von Grund und Boden, wurde der Hotelbau noch einmal angeheizt – viele stürzten sich in unüberlegte Schulen, um auch noch ihr Hotel durchzukriegen. Aber nun sank die Inflation, während die Zinsen schwindelerregend hoch getrieben worden waren. Der Reihe nach gingen Hoteliers in Konkurs – und damit auch gute Schweitzer-Kunden, die ihre Lieferanten nicht mehr bezahlen konnten. Schweitzer verlor an uneinbringlichen Forderungen fast einen ganzen Jahresumsatz. 4,5 Milliarden Lire Umsatz im Jahr (aufgewertet und umgerechnet 6,4 Millionen Euro) machte die Schweitzer in dieser Zeit, drei Milliarden Lire verlor sie. Und mit einem Schlag war der wichtigste Markt weg gebrochen. Die Brüder standen, wie schon ihr Großvater Josef, wie schon ihr Vater Leo vor dem Aus.

Zwei Jahre kämpften sie gegen den Abschwung, Norbert suchte neue Märkte, Helmut stand zwei Jahre lang beinahe in täglicher Krisenverhandlung mit Banken und Lieferanten. Der Ableger in Innsbruck erwies sich als Glücksfall: Was über die Zweigstelle produziert worden war, war – anders als in Italien – durch eine Versicherung der Kontrollbank abgesichert. Aber die Verluste waren trotzdem schwer: Als Norbert und Helmut Schweitzer sich 1983 zu einem Kassensturz in ein Skigebiet zurückzogen und drei Tage lang nur rechneten, mussten sie am Ende feststellen: „So jetzt haben wir nichts mehr.“

In solchen Momenten schlägt wohl das Schweitzer-Gen aus. Denn statt aufzugeben beschließt Norbert Schweitzer eine Offensive – „schließlich haben wir jetzt auch nichts mehr zu verlieren“. Die Schweitzer verhandeln mit der Landesregierung und den Banken, dabei stoßen sie vor allem bei Landesrat Franz Spögler auf Verständnis. Im Ausmanövrieren der wirtschaftlichen Krise zu Beginn der 80er Jahre zeigt sich die Handschlagqualität der Marke Schweitzer. Bei den Verhandlungen mit Banken und Politik ziehen die beiden Brüder keine Jammermienen auf, sondern reden Tacheles: „Wir haben zu dritt Mist gebaut, wir Schweitzer-Buben, ihr Banken und du Land“, sagt Norbert Schweitzer zu Franz Spögler, „deshalb müssen wir alle drei etwas tun, um aus dem Mist herauszukommen.“ Für den Fall, dass nichts geschehe, werde Schweitzer am 1. Juli 1983 die Konsequenzen ziehen. Welche, will Franz Spögler wissen. „Das sage ich am 1. Juli“, blockt Norbert Schweitzer mit Pokerface ab.

Er muss es nie offen legen. Die offene Art imponiert. Am 28. Juni – zwei Tage vor Ablauf des Ultimatums – wird im Meraner ein Sanierungsabkommen geschlossen. Das Sanierungskonzept macht Schule und kommt der gesamten Branche zugute: Der Fonds für Kriseninterventionen der bis dahin unterfinanzierten Garantiegenossenschaft Confidi von 250 Millionen Lire auf rund eine Milliarde Lire erhöht. Die konkrete Hilfe kommt zwar erst zwei Jahre später, aber das politische Abkommen beruhigt die Banken – „von da an konnte man wieder arbeiten“, sagt Helmut Schweitzer. Die wichtigste Hilfe war die Selbsthilfe und die Bereitschaft weiterzumachen. Eine wichtige Rolle spielte dabei für Helmut und Norbert Schweitzer, dass auch die Mitarbeiter zu einem Opfer bereit waren. Diese verzichteten pauschal auf zwei Wochen Urlaub, der ihnen zwei Jahre später aber schon wieder ausbezahlt werden konnte.

Die Offensive hat Erfolg: Norbert Schweitzer gelingt der Durchbruch im Ladenbau mit einer Expansion nach Italien, in die Schweiz, nach Österreich und Deutschland – mit Abstechern bis nach Saudi Arabien. Der Schritt in die globale Welt wird nicht nur von der allgemeinen Entwicklung gefordert, lustvoll wird weiter expandiert – nach England, in die USA, in den europäischen Osten. Und wieder tritt ein junger Schweitzer, der eigentlich etwas anderes wollte, in die Firma ein: Bernhard Schweitzer arbeitet zuerst während der Sommerferien im Betrieb mit, nach dem Abschluss an der Bocconi in Mailand steigt er ganz ein. Zusammen mit seinem Vater Norbert prägt der Junior die Ära des internationalen Durchbruchs. Die Kundschaft ist nun beinahe die gesamte Glitzerwelt des World Wide Shoppings im Food- und Nonfood-Bereich – von Paris nach London, von New York nach Moskau und St. Petersburg, von Basel und Zürich nach Budapest, Rom bis Mailand, von Wien bis nach Stockholm, von München bis Hamburg. Eine Firma, die mit den Radfahrten des Leo Schweitzer begonnen hatte, ist in der Globalisierung angekommen. Die Erfolgsgeschichte geht – mit der schrittweisen Übergabe operativer Geschäftsbereiche an Bernhard Schweitzer – in eine neue Ära über. Die Zukunft bleibt ein Abenteuer.

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